Strategisch diskutieren
Kurz gesagt
Was tun mit Verschwörungstheorien, Impfmythen & Co? Die Expertin für Fake News, Ingrid Brodnig, gibt Tipps.
Pfarrmedien-Guide: Klimakrise – eine Erfindung! Corona – doch nur eine schwere Grippe! Menschen, die Verschwörungsmythen Glauben schenken, begegnen uns immer häufiger auch im Arbeitsumfeld, im Freundes- und Familienkreis. Was sind mögliche Argumente bzw. Strategien in diesen Kontexten?
Ingrid Brodnig: Zuerst einmal sollte man schauen, wie sehr jemand an solche Erzählungen glaubt: Manchmal sind Leute nur verunsichert, aber noch nicht hundertprozentig überzeugt – da kann es bereits helfen, sachlich und respektvoll auf Fakten hinzuweisen. Versuchen Sie dabei auch, sich auf Quellen oder ExpertInnen zu beziehen, die die Person schätzt. Es geht oft nicht nur darum, was faktisch richtig ist, sondern auch darum, ob das eine Person oder eine Einrichtung gesagt hat, der die Person vertraut.
Wenn man aber merkt, Fakten prallen ab, wenn jemand schon sehr von solchen Mythen überzeugt ist, kann man versuchen, die eigene Strategie zu ändern. Statt dagegen zu halten, kann man auch Fragen stellen wie: „Woher hast du das? Warum vertraust du gerade dieser Person?“ Wenn man wertschätzend Fragen stellt, kann man manchmal gemeinsam mit dem Gegenüber solche Mythen analysieren – und auch die Unstimmigkeiten solcher Erzählungen beleuchten. Natürlich braucht man dafür ein Gegenüber, dass ansatzweise bereit ist, sich solchen Fragen zu stellen – aber manchmal funktioniert es, mit Fragen auch Zweifel an solchen Erzählungen zu wecken.
Wie weit kann man hier gehen, wie häufig Anlauf zu Erläuterungen nehmen?
Wovon ich abraten würde: Auf Biegen und Brechen versuchen, die andere Person zu überzeugen. Das Problem ist, dass wir häufig diskutieren in der Hoffnung, die Person zum Umdenken zu bewegen – also, dass man zwei, drei gute Fakten bringt und dann sieht die Person ein, dass etwas eine Falschmeldung oder gar ein Verschwörungsmythos ist. Nur ist das eher unrealistisch: Niemand geht in eine Diskussion um nachher die Welt anders zu sehen.
Mein Tipp ist eher: Lassen Sie sich selbst und ihrem Gegenüber Zeit. Servieren Sie freundlich Fakten, aber lassen Sie diese auch einsickern. Manchmal passiert Umdenken gar nicht, manchmal gelingt es,, aber es kann auch ein längerer Prozess sein. Selbst wenn Sie einfühlsam und eloquent diskutieren: Es gibt keine Garantie, dass Sie jemanden – auch wenn Sie es wiederholt probieren – argumentativ erreichen. Aber es ist schon sinnvoll, dem Gegenüber zu zeigen: „Wenn du sachlich diskutieren willst, bin ich gerne da, weil ich dich schätze.“
Was ist die garantiert schlechteste Methode, um auf Verschwörungsmythen, die einem eine Besucherin, ein ehrenamtlicher Kollege entgegenhält, zu reagieren?
Häme oder Beleidigungen. Forschende haben das auch mal als „Nasty Effect“ bezeichnet: In Online-Diskussionen wurde gemessen, dass es zu einer Polarisation kommt, wenn Beleidigungen fallen. Eine aggressive Tonalität führt dazu, dass Leute der anderen Seite noch weniger zuhören. Es ist oft frustrierend, wenn nachweisbar falsche Argumente gebracht werden, aber es ist trotzdem sinnvoll, cool und respektvoll zu bleiben. Denn damit macht man es dem Gegenüber auch einfacher, einem zuzuhören.
„Das hätte ich von XX nie gedacht!“ So reagieren Menschen, wenn die Leugner der Klimakrise, der Pandemie ... plötzlich die Nachbarn, die Freundin, der Bruder sind. Hat man hier Zeichen übersehen? Oder erkennen Sie eine Verschärfung im Bereich Fake News, Verschwörungsmythen?
Falschmeldungen und Verschwörungsmythen sind ein Symptom unserer Zeit: Denn Krisen fördern Ungewissheit und sie lösen umso emotionalere Debatten aus. Gerade wenn zum Beispiel ein Thema erhitzt diskutiert wird, kann man umso leichter Falschmeldungen verbreiten: Indem man bestehende Ängste oder Feindbilder mittels Falschmeldung wiederholt, wird diese für manche Menschen glaubwürdiger, weil sie sich bestätigt sehen. Es ist durchaus menschlich, etwas Falsches zu glauben, wenn es einem gut ins Konzept passt – das nennt man in der Psychologie den „Bestätigungsfehler“ (auf Englisch: „Confirmation Bias“).
Es ist durchaus sinnvoll, auf Warnsignale bei Menschen im eigenen Umfeld zu achten: Wenn sich jemand immer mehr von etablierten Medien abwendet, diese „Systemmedien“ nennt und stattdessen viel auf Online-Plattformen wie Telegram mitliest, wo ihm oder ihr spektakuläre „Wahrheiten“ präsentiert werden, ist das zum Beispiel ein Warnsignal. Wenn ich merke, in meinem Umfeld, in meiner Familie ist jemand, der oder die eine Affinität für solche Geschichten haben, die sie im Internet gelesen haben, ist es sinnvoll, möglichst früh mit ihnen über solche Ideen zu diskutieren – ehe jemand schon sehr tief in dieser Gedankenwelt drinnen steckt. Aber oft fällt dieses Problem erst dann deutlich auf, wenn jemand schon sehr überzeugt ist von solchen Ideen – gerade auch die Lockdowns waren eine Phase, in der man weniger Kontakt hatte und weniger von der Familie oder Bekannten mitbekam.
Wenn jemand schon sehr tief in solchem Denken drinsteckt, kann man sich auch fachliche Unterstützung holen: Die Bundesstelle für Sektenfragen und die Beratungsstelle Extremismus beraten Menschen, die in ihrem Umfeld Verschwörungsgläubige haben. Es gibt leider kein Wundermittel, mit dem man Menschen garantiert wieder argumentativ erreichen kann – aber es gibt ein paar grundsätzliche Empfehlungen: Sachlich bleiben, Wertschätzung zeigen, Fragen stellen und Zweifel an den Mythen nähren. Wir werden niemals eine Welt ohne Verschwörungsmythen oder Falschmeldungen haben – aber manchmal gelingt es, dass einzelne aus solch einer Gedankenwelt wieder herausfinden.